In seinem Artikel “Where is Jesus in the OT?” erzählt Glen Scrivener eine Geschichte, die uns daran erinnert, wie schwer es sein kann, das AT mit Christus als Schlüssel auszulegen:
Vor zehn Jahren leitete ich eine Feedbackgruppe für junge Prediger. Ein Jugendpastor legte Richter 14 aus, und wir sollten Feedback geben. Ganz am Ende sprach er von "einem anderen Erretter, der gekommen ist, um sein Volk auf ewig zu befreien". Er machte nichts aus dem Punkt, und er erwähnte nicht den Namen "Jesus", aber er fügte den Satz hinzu.
Während der Feedback-Sitzung fragte ich ihn: "Warum hast du diese Zeile am Ende eingefügt?" Blitzschnell antwortete ein anderer Student mit einer Zeile, die ich nie vergessen habe: "Weil wir es sollen."
Der ganze Raum raunte zustimmend. Alle fühlten die gleiche Verpflichtung. Keiner dieser Prediger in Ausbildung war sich sicher, warum sie "auf Jesus umschalten" sollten, aber anscheinend gab es diese Regel. Ich sehe das überall unter Christen. Wir sind der Meinung, dass wir das Alte Testament als christliche Schrift betrachten sollten, aber wir sind uns nicht ganz sicher, warum oder wie. Bei diesem Schaltvorgang scheint es im Getriebe zu knirschen. Aber ist das wirklich so?
Nun, wir werden Jesus sicherlich nicht finden, wenn wir der Aufforderung des Geistes, mit Christus als Schlüssel zu lesen, nicht nachkommen, und wenn wir nicht in der Kraft des Geistes mit Geschick daran arbeiten, ihn dort zu entdecken. Aber wir müssen auch verstehen, dass zwar die ganze Schrift über Jesus spricht, dass sie es aber auf verschiedene Weise tut. Ja, der Heilige Geist schrieb die Bibel, aber er tat dies durch die Propheten und die Apostel. Wir müssen zulassen, dass die Formen der menschlichen Sprache und Literatur uns bei der Auslegung leiten. Sowohl Sprüche als auch Ruth offenbaren Christus. Aber sie tun es verschieden. Wie sollen wir also so unterschiedliche Schriften mit Christus als Schlüssel lesen?
In seinem Artikel liefert Scrivener ein einfaches Paradigma für das Lesen des AT mit Christus als Schlüssel: "Er ist von 1. Mose an vorgeschattet, verheißen und gegenwärtig."
Christus ist vorgeschattet
In seinen Menschen, Institutionen und Ereignissen bereitet uns das AT auf Jesus vor, indem es uns zeigt, wie er sein wird. In David sehen wir einen Schatten des Königs, der Jesus sein würde. In den AT Opfern sehen wir ein Bild von Christi Sühneopfer am Kreuz. In Exodus und in Ruth sehen wir Muster, die uns helfen zu verstehen, wie Jesus sein Volk im neuen Bund erlösen und wiederherstellen würde. Wenn wir das AT mit Christus als "Auflösung" und als "Hausschlüssel" lesen, verstehen wir, dass diese Menschen, Institutionen und Ereignisse die ganze Zeit über ihn sprachen (Kolosser 2:17).
Zum Beispiel erzählt das Buch Ruth, wie die Familie der Verheißung in eine Sackgasse geriet, als Elimelech aus dem Land floh, um in Moab Zuflucht zu suchen. Als ihr Mann und ihre beiden Söhne im Exil starben, blieb Naomi allein zurück (Ruth 1:5), und es schien, als würde sich das Versprechen des Herrn, einen Erlöser durch diese Familie zu senden, nicht erfüllen (Ruth 1:11 - 13,21).¹ Doch durch die Heirat mit einem verwandten Löser stellt der Herr Naomi und die Familie der Verheißung wieder her.
Wenn wir Ruth mit Christus als "Hausschlüssel" lesen, kommen wir zu diesem Buch und erwarten, dass das Evangelium die volle Bedeutung dieser Geschichte erschließt. Wir wissen jetzt, zu wem diese Geschichte letztendlich führt, und wir verstehen jetzt, zu welchem Zweck Gott Naomis Leben gestaltet und geleitet hat, einschließlich der verheerenden Verluste in Kapitel 1.
Wenn wir mit Christus als "Auflösung" lesen, verstehen wir, wie die Muster in diesem Text uns auf Christus hinweisen. Das Buch Ruth gibt uns Schatten von Christus sowohl in der Gesamtgeschichte - wie der Herr diese Familie erlöste, um sie wiederherzustellen - als auch in bestimmten Personen, Themen, Gesetzen und Szenen wie Boas, der Geburt eines Sohnes, Erlösung und Ruths Liebe zu Naomi.
Nenne ein Beispiel für einen AT Text, der Christus vorschattet. Erkläre kurz, wie der Text dies tut.
Wenn du einen AT Text auslegst, lies mit Christus als Schlüssel, um die volle Bedeutung und Implikationen dieses Textes zu erschließen. So liest du mit Christus als "Hausschlüssel".
Frage: Wie offenbaren Christus und sein Evangelium die volle Bedeutung dieses AT Textes und die Folgerungen?
Lies auch mit Christus als "Auflösung":
Vorwärts lesen: Inwiefern sind die Ereignisse, Menschen, Orte, Institutionen, Geschichten usw. in diesem Text Schatten der Person und des Werkes Christi?
Rückwärts lesen: Wie offenbart das Evangelium die volle Bedeutung dieses AT Musters bzw. Schattens?
Christus ist verheißen
Der Geist offenbarte den Propheten des AT die Leiden und die Herrlichkeit Christi (1. Petrus 1:10-12). In unzähligen Texten wie 1. Mose 3:15; 22:18 und Jesaja 53 verspricht das AT, dass Jesus kommen und sein Volk von ihren Sünde retten würde (1. Korinther 15:3-4).
Nenne drei AT Texte, die Christus verheißen und erkläre sie kurz.
Aber wir dürfen Verheißungen nicht auf bestimmte Verse oder Sätze beschränken. Es gibt auch größere Verheißungen und Erwartungen im AT, die nur in Christus erfüllt werden (2. Korinther 1:20). Der Tempel ist nicht nur ein Schatten, der auf Christus hinweist. Er stellt auch eine größere Verheißung dar, die in Eden beginnt und in der Offenbarung gipfelt, nämlich die Verheißung, dass Gott bei seinem Volk wohnen wird:
Und mein Knecht David soll ihr König sein, und sie sollen alle einen einzigen Hirten haben. Und sie werden in meinen Rechtsbestimmungen wandeln und meine Satzungen bewahren und sie tun. Sie werden wieder in dem Land wohnen, das ich meinem Knecht Jakob gegeben habe, in dem auch eure Väter gewohnt haben. Ja, darin sollen sie in Ewigkeit wohnen, sie und ihre Kinder und Kindeskinder; und mein Knecht David soll ihr Fürst sein auf ewig. Ich will auch einen Bund des Friedens mit ihnen schließen; ein ewiger Bund soll mit ihnen bestehen, und ich will sie sesshaft machen und mehren; ich will mein Heiligtum auf ewig in ihre Mitte stellen. Meine Wohnung wird bei ihnen sein, und ich will ihr Gott sein, und sie sollen mein Volk sein. Und die Heidenvölker werden erkennen, dass ich der HERR bin, der Israel heiligt, wenn mein Heiligtum in Ewigkeit in ihrer Mitte sein wird.
—Hesekiel 37:24–28
Daher müssen wir mit Blick darauf lesen, wie bestimmte Prophezeiungen sowie größere Erzählungen und Themen Christus verheißen und erwarten. Wenn wir das AT mit Christus als Schlüssel lesen, legen wir die Verheißungen des AT so aus, wie Christus sie erfüllt.
Lass uns das am Beispiel von Ruth tun. Der Herr erlöst, um wiederherzustellen, und der Autor von Ruth gibt uns in Ruth 4:16-17 ein herrliches Bild der Wiederherstellung. Durch die (Er-)Lösung stellt der Herr Naomi und ihre Familie wieder her. Jede Wunde aus Kapitel 1 heilt er. Jede Last nimmt er auf sich. In jeder Trauer tröstet er. Doch in Ruth 4:17 macht der Autor David zum Höhepunkt der Geschichte. Obeds Geburt führt uns zu David und verbindet diese Geschichte mit der größeren Verheißung des AT, dass der Herr sein Volk durch Davids Sohn wiederherstellen wird.
Wenn wir Ruth 4 mit Christus als "Hausschlüssel" lesen, können wir begreifen, dass der Autor nicht nur beabsichtigte, uns zu David zu führen, sondern zu Christus und seinem Evangelium. Darüber hinaus müssen wir jetzt Naomis Wiederherstellung im Licht der NT Verheißungen über unsere eigene Wiederherstellung bei Christi Wiederkunft auslegen. Ihre Wiederherstellung wird zu einer Verheißung (und einem Muster) unserer eigenen Wiederherstellung in Christus.
Siehe, GOTT, der Herr, kommt mit Macht,
und sein Arm wird herrschen für ihn;
siehe, sein Lohn ist bei ihm,
und was er sich erworben hat, geht vor ihm her.
Er wird seine Herde weiden wie ein Hirte;
die Lämmer wird er in seinen Arm nehmen
und im Bausch seines Gewandes tragen;
die Mutterschafe wird er sorgsam führen.
Jesaja 40:10–11
Wenn du einen AT Text mit Christus als Schlüssel auslegst, frage:
Vorwärts lesen: Gibt es bestimmte Prophezeiungen oder größere Themen, die Christus und sein Evangelium in irgendeiner Weise verheißen?
Rückwärts lesen: Wie erfüllt Christus diese Verheißung?
Wenn wir bekennen, dass Jesus der Herr ist, bekennen wir nicht nur, dass er König ist. Vielmehr bekennen wir, dass er Jahwe ist, der Gott Israels. Vom brennenden Dornbusch in Exodus 3 bis zur Vision des HERRN im Tempel aus Jesaja 6 begegnen wir Jesus als dem HERRN, der im AT gegenwärtig ist.
Hör dir folgendes Zitat des Theologen Michael Reeves über die Gegenwart Christi im AT an:²
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Kehren wir noch einmal zum Buch Ruth zurück. Christus ist in diesem Buch nicht nur vorgeschattet oder verheißen. Er ist gegenwärtig als der Herr, der erlöst, um wiederherzustellen. Der Gott, der Naomi und ihre Familie erlöste, kam herab, um uns in unserem Herrn Jesus Christus zu erlösen! In Christus wird der erlösende HERR von Ruth 4 der erlösende Sohn, der Nachkomme von Boas, geboren, um uns von Satan, Sünde und Tod zu erlösen und uns zum Leben in ihm zurückzuführen.
Wenn wir also Ruth mit Christus als Schlüssel auslegen, sollten wir erwarten, dass dieses Buch die Person, das Herz und das Werk Christi ebenso offenbart, wie es Israels Gott offenbart, denn Jesus ist der Herr. Das Herz Jahwes, das in der Erlösung dieser Familie offenbart wird, ist das Herz Christi.
Wenn du einen AT Text mit Christus als Schlüssel auslegst, frage:
Wie ist Christus in diesem Text gegenwärtig?
Vorwärts lesen: Was offenbart dieser AT Text über den Herrn Jesus und seinen Charakter?
Rückwärts lesen: Welches Licht bringt die Offenbarung Gottes in Christus in diesen AT Text?
Jesus: Wahr und Besser als die Schatten und Muster im AT