Brauchen wir wirklich einen Schritt, um das NT mit Christus als Schlüssel auszulegen?
Ja.
Zu Beginn meines ersten Pastorats diente ich in einer Gemeinde, in der Christus fast völlig abwesend war. Die erste Anbetungsversammlung, an der wir teilnahmen, erwähnte Christus nie: weder im Singen noch im Beten noch in der Predigt. Kleine Gruppen lasen die Bibel, erwähnten aber selten Jesus. Selbst als die Gemeinde durch das Matthäusevangelium predigte, entschied sich der ehemalige Pastor, die Passagen über das Kreuz und die Auferstehung zu überspringen.
Also, ja, wir brauchen einen Schritt, um das NT mit Christus als Schlüssel auszulegen, weil auch wir solche tragischen Fehler machen können.
Das NT offenbart Christus und sein Evangelium. Deshalb sollten wir jeden Teil lesen, von der einfachsten Begrüßung am Anfang eines Briefes bis zu seiner komplexesten Symbolik in einer apokalyptischen Vision, mit Christus als Schlüssel, denn jeder NT Text erwächst aus dem Evangelium. Manchmal offenbart ein Text Christus, indem er direkt etwas darüber sagt, wer er ist, was er getan hat oder was er tut. An anderen Stellen entwickelt sich ein NT Text aus dem Evangelium und offenbart Christus indirekt. In diesen Fällen wollen wir verstehen, wie das Evangelium eine solche Aussage oder ein solches Gebot hervorbringt. Die Auslegung des NT mit Christus als Schlüssel ermöglicht uns dies.
Direkte Offenbarung Christi
Viele NT Texte offenbaren Christus klar und direkt, indem sie über seine Person und sein Werk sprechen.
Johannes 3:16 offenbart Christus, indem erklärt wird, wer er ist, warum er gekommen ist und wie wir reagieren sollen: Er ist das lebensspendende Geschenk des Vaters an eine gotthassende Welt für jeden, der an ihn glaubt.
1. Timotheus 1:15 offenbart Christus, indem direkt gesagt wird, was er getan hat: "Christus Jesus ist in die Welt gekommen, um Sünder zu retten."
Matthäus 1:1 offenbart Christus, indem er als der rettende Sohn identifiziert wird, der im AT verheißen wurde.
Markus 4:35-41 offenbart Christus durch ein wunderbares Zeichen. Jesus tut, was nur Jahwe tun kann: den Sturm zum Schweigen zu bringen. Wenn seine Jünger fragen: "Wer ist denn dieser, dass auch der Wind und der See ihm gehorsam sind?", müssen wir unweigerlich zu dem Schluss kommen, dass er "der Sohn Gottes" ist (Markus 15:39).
Offenbarung 1:9-20 offenbart Christus mit apokalyptischen Symbolen, die anzeigen, wer er ist. Der Heilige Geist offenbart Jesus dem Johannes mit Symbolen wie goldenen Leuchtern und Sternen. Diese Symbole bedeuten, dass Jesus der wahre Bundes-Herr ist, der über seine Gemeinden regiert (Offenbarung 1:20).
Wenn wir solche NT Texte lesen, müssen wir sie mit Christus als Schlüssel lesen, besonders als "Auflösung" und als "Hausschlüssel".
Das NT offenbart Christus als die "Auflösung" der Muster, Verheißungen und Probleme des AT. Zum Beispiel fasst Paulus das Evangelium in 1. Timotheus 1:15 mit den Worten zusammen: "Christus Jesus kam in die Welt, um Sünder zu retten". Wir könnten daher annehmen, dass wir diesen Satz einfach lesen und wiederholen können. Er offenbart Christus sicherlich direkt. Dennoch werden wir diesen Satz falsch auslegen, wenn wir ihn außerhalb seines AT Kontextes lesen. Was bedeuten Wörter wie "retten" und "Sünder"? Wer ist "Christus Jesus" und wie genau ist er "in die Welt gekommen"? Die Muster, Probleme und Verheißungen, die im AT auf Christus hindeuten und im Evangelium erfüllt werden, bieten den Kontext, den wir brauchen, um diese Fragen zuverlässig zu beantworten.
Wenn du einen NT Text auslegst, der Christus direkt offenbart, dann frage:
Was offenbart dieser Text über die Person und das Werk Christi?
Welche Muster, Probleme oder Verheißungen des AT liefern einen Kontext dafür, wie dieser NT Text Christus offenbart?
Indirekte Offenbarung Christi
Einige NT Texte offenbaren Christus indirekt, indem sie das Leben darstellen, das in Christus verwurzelt ist und aus seinem Evangelium erwächst. Wenn wir diese Texte mit Christus als Schlüssel lesen, müssen wir nachzeichnen, wie das Evangelium ein bestimmtes Gebot, eine Aussage, eine Identität oder ein Beispiel begründet und hervorbringt.
Philipper 1:1 offenbart Christus indirekt, indem Paulus und Timotheus als "Knechte Christi Jesu" vorgestellt werden. Der Gruß offenbart Christus sehr deutlich als denjenigen, dem Paulus und Timotheus gehören. Aufgrund dessen, wer Jesus ist und was er getan hat, gehören sie ihm. Aber wenn wir in Philipper weiterlesen, erkennen wir, dass ihre Identität als "Knechte Christi Jesu" aus dem Evangelium erwächst und die Geschichte von Christus selbst widerspiegelt (Philipper 2:5-11). Deshalb offenbart auch diese einfache Begrüßung Christus, weil sie in seiner Identität verwurzelt ist und aus seinem Werk erwächst.
Kolosser 3:18-19 offenbart Christus indirekt, indem die Ehe in Christus angeordnet wird. Die Ehe spiegelt das Evangelium wider (Epheser 5:32) und wurde durch ihn und für ihn geschaffen (Kolosser 1:16). Darüber hinaus ist die christliche Ehe nur wegen des Werkes Christi möglich (Kolosser 2:9-15). Daher offenbart dieser Aufruf zur christlichen Ehe Christus indirekt, indem er aus seiner Identität und seinem Werk als Schöpfer und Erlöser erwächst.
1. Timotheus 3:1-7 offenbart Christus indirekt durch die Anordnungen, wer als Ältester in der Gemeinde Christi dienen kann. Älteste repräsentieren Jesus für seine Herde. Ihr Charakter und ihre Berufung sind in ihm verwurzelt (1 Petrus 5:1-4). Außerdem sind ihr Charakter und ihre Berufung nur aufgrund von Jesus möglich. Daher offenbaren diese Normen für Älteste indirekt Christus, weil sie in seinem Charakter und Werk verwurzelt sind und aus ihm erwachsen.
Wenn wir solche NT Texte lesen, müssen wir sie mit Christus als Schlüssel lesen, besonders als "Zündschlüssel" und als "Schlussstein".
Das NT verlangt Christus als "Zündschlüssel". Nur durch ihn können wir so sein und leben, wie es im NT beschrieben wird. Deshalb werden wir kein NT Gebot richtig auslegen, wenn wir nicht verstehen, wie Christus uns erlöst und uns zum Gehorsam befähigt.
In ähnlicher Weise offenbart das NT Christus als den "Schlussstein", der die ganze Bibel und die ganze Schöpfung vereint und ihnen Sinn gibt (Kolosser 1:15-23). Das biblische Leben ist nicht nur eine Liste von unzusammenhängenden Identitäten, Regeln und Befehlen. Nein! Christus ist der "Schlussstein", der unser Leben mit seinem Leben und in sein Leben hinein verbindet. Jedes Gebot führt uns dazu, ihn treu zu repräsentieren. Daher werden wir keine Aussagen über unsere Identität und unser Ziel richtig auslegen, ohne das ganze Leben im Licht Christi und seines Evangeliums zu verstehen.
Schau dir zum Beispiel an, wie Kolosser 3:5-11 Christus indirekt auf mindestens zwei Arten offenbart:
5 Tötet daher eure Glieder, die auf Erden sind: Unzucht, Unreinheit, Leidenschaft, böse Lust und die Habsucht, die Götzendienst ist; 6 um dieser Dinge willen kommt der Zorn Gottes über die Söhne des Ungehorsams; 7 unter ihnen seid auch ihr einst gewandelt, als ihr in diesen Dingen lebtet. 8 Jetzt aber legt auch ihr das alles ab — Zorn, Wut, Bosheit, Lästerung, hässliche Redensarten aus eurem Mund. 9 Lügt einander nicht an, da ihr ja den alten Menschen ausgezogen habt mit seinen Handlungen 10 und den neuen angezogen habt, der erneuert wird zur Erkenntnis, nach dem Ebenbild dessen, der ihn geschaffen hat; 11 wo nicht Grieche noch Jude ist, weder Beschneidung noch Unbeschnittenheit, noch Barbar, Skythe, Knecht, Freier — sondern alles und in allen Christus.
Wenn wir diese Verse mit Christus als "Zündschlüssel" lesen, offenbaren sie indirekt sein Evangelium. Diese Verse gehen davon aus, dass die Finsternis uns nicht mehr trennt und dass die Sünde uns nicht mehr beherrscht. Auf der anderen Seite gehen sie davon aus, dass die Gemeinde jetzt die neue Menschheit in Christus istund dass wir diese neue Identität leben können. All dies erwächst aus dem apostolischen Evangelium, das offenbart, wer Jesus ist (Kolosser 1:15-20), was Jesus getan hat (Kolosser 2:9-15) und was er tun wird (Kolosser 3:6). Wir können Kolosser 3:5-11 nur richtig auslegen, wenn wir diesen Ruf mit Christus als "Zündschlüssel" lesen.
Wenn wir diese Verse mit Christus als "Schlussstein" lesen, offenbart Kolosser 3:5-11 indirekt die Identität Christi. Unsere Berufung als neue Menschheit erwächst aus seiner Identität als »Erstgeborener« über die alte (Kolosser 1:15) und über die neue Schöpfung (Kolosser 1:18), als »Ebenbild des unsichtbaren Gottes« (Kolosser 1:15) und als »Haupt des Leibes, der Gemeinde« (Kolosser 1:18; siehe auch Kolosser 2:19). So ruft uns Kolosser 3:5-11 auf, das Leben nicht gemäß den alten Loyalitäten und Identitäten zu sehen, die uns trennten, sondern Christus¹ gemäß, der "alles und in allen ist" (Kolosser 3:11). Wir können Kolosser 3:5-11 nur richtig interpretieren, wenn wir diese Aufforderungen mit Christus als "Schlussstein" lesen.
Wenn du einen NT Text auslegst, der Christus indirekt offenbart, dann frage:
Wie ist dieser Text in der Person und im Werk Christi verwurzelt?
Wie machen die Person und das Werk Christi diese Identität und diese Berufung möglich?
Was offenbart dieser Text über die Person und das Werk Christi?