Rahab, ein Vorbild des Glaubens?
Unsere dritte Fallstudie betrachtet, wie der Autor des Hebräerbriefes den Charakter von Rahab und die sie umgebende Erzählung interpretiert. Der Autor interpretiert Rahab, insbesondere ihre Aufnahme der israelitischen Spione, als Glaubensvorbild. Dabei verdreht der Autor die Erzählung über Rahab nicht, damit sie zu seiner Aussage passt. Stattdessen folgt er Auslegungsprinzipien, die in früheren Schriften eingeführt wurden. Somit sehen wir noch einmal ein Beispiel für einen biblischen Autor, der die von früheren biblischen Autoren eingeführten Auslegungsprinzipien befolgt und von uns dasselbe erwartet.
Durch Glauben ging Rahab, die Hure, nicht verloren mit den Ungläubigen, weil sie die Kundschafter mit Frieden aufgenommen hatte.
—Hebräer 11:31
Der Verfasser des Hebräerbriefes interpretiert, dass Rahabs Handeln „aus Glauben“ geschah.
Dies ist bemerkenswert, da jemand Rahab sehr leicht als böse Person fehlinterpretieren könnte, indem er hinweist auf ihre Prostitution, ihre Lügen und ihren Verrat an ihrem eigenen Volk und ihre Motivation, sich selbst und ihre Familie zu retten. Welche Auslegungsprinzipien führen also den Autor zu seiner Schlussfolgerung über Rahabs Glauben? Wenn wir Josua 2 und 6 sorgfältig lesen, können wir sehen, dass der Autor des Hebräerbriefes die von der Bibel selbst aufgestellten Auslegungsprinzipien befolgt.
Die Bibel lehrt uns beispielsweise, den Charakter einer Person anhand der Kombination ihres Bekenntnisses, ihrer Handlungen und des Ergebnisses ihres Lebens zu interpretieren.
Wir sehen dieses Prinzip im Buch Hiob. Dieses Buch lehrt uns, dass wir bei einer Person in einer biblischen Erzählung nicht einfach aufgrund von Schwierigkeiten in ihrem Leben auf unbekannte Sünden schließen können. Wir sehen dieses Prinzip auch in den Geschichten von Bileam und König Saul, die uns zeigen, dass das Bekenntnis zu einem bestimmten Zeitpunkt im Leben nicht viel bedeutet. Aber die Kombination aus einem konsequenten Bekenntnis, glaubenserfülltem Handeln und einem positiven Ergebnis verleiht der Glaubwürdigkeit dieser Person Gewicht. Das sehen wir bei Rahab. Sie hatte ein klares Bekenntnis, warum sie so handelte, und es war ganz auf den Herrn ausgerichtet. (Josua 2:8-13). Ihr Handeln entsprach diesem Bekenntnis (Josua 2:4–6, 15, 21). Und sie wurde langfristig gesegnet (Josua 6:25; Matthäus 1:5).
Ein weiteres Beispiel ist, wie der Autor des Hebräerbriefes sich von Josua leiten lässt, indem er sich auf Rahab konzentriert. Wir würden Rahab von Natur aus vielleicht nicht als bedeutende Persönlichkeit betrachten. Vielleicht überrascht es uns, dass Hebräer 11 sie erwähnt. Aber der Autor des Hebräerbriefes folgt lediglich dem Autor von Josua. Das Buch Josua selbst verlangsamt die Erzählung, um Rahab hervorzuheben. Die Geschichte hätte ihre Hilfe für die Kundschafter erwähnen und weitergehen können, aber stattdessen verweilt sie bei ihr – und kommt dann zurück und geht ihr nach. Wenn eine biblische Erzählung eine bestimmte Person hervorhebt, so ist dies nie ohne Bedeutung. Der Autor des Hebräerbriefes demonstriert dieses Auslegungsprinzip, indem er auf die von der Schrift selbst betonten Zeichen achtet.
Schließlich folgt der Autor des Hebräerbriefes Josuas Führung auf eine andere Weise. Er folgt der Logik im Text und erwartet, dass wir dasselbe tun.
Josua 6:25 (ebenso wie Josua 2) zeigt deutlich, dass Rahab wegen ihrer Hilfe für die Kundschafter gerettet wurde. Der Verfasser des Hebräerbriefes wiederholt nicht nur Details von Rahabs Geschichte, sondern auch die klare Logik im Text. Er nennt ihre Hilfe für die Spione als Grund, warum sie nicht umgekommen ist.
In den Lektionen 5 und 8 werden wir Auslegungsprinzipien für bestimmte Literaturgattungen wie Erzählung und Prophetie untersuchen. Beachte vorerst noch einmal, dass der Autor des Hebräerbriefes uns lehrt, dass eine treue Bibelauslegung den eigenen Grundsätzen und Praktiken der Bibel folgt, und dass er erwartet, dass wir seine Interpretation von Rahab verstehen und befolgen.