Lektion 3: Auslegungsprinzipien von der Bibel lernen

Dem Vorbild der Bibel folgen?

Ziel dieses Kurses ist es, einen biblischen Rahmen für Auslegung zu schaffen; das heißt, aus der Schrift zu lernen, wie man die Schrift auslegt. Aber bevor wir dies tun können, müssen wir uns fragen: Ist es angemessen, dem Beispiel biblischer Autoren zu folgen?
Stell dir beim Lesen der folgenden Abschnitte die Frage: „Sollen wir die Bibel so interpretieren, wie die Autoren dieser NT-Abschnitte das AT interpretieren?“

Psalm 44 in Römer 8

Wer will uns scheiden von der Liebe des Christus? Drangsal oder Angst oder Verfolgung oder Hunger oder Blöße oder Gefahr oder Schwert? Wie geschrieben steht: »Um deinetwillen werden wir getötet den ganzen Tag; wie Schlachtschafe sind wir geachtet!« —Römer 8:35-36 (Zitat aus Psalm 44:23)
Hier verwendet Paulus Psalm 44, einen Psalm, der Israels Exil beklagt, um die Schwierigkeiten zu beschreiben, mit denen Christen des neuen Bundes konfrontiert sind. Sollten wir der Hermeneutik von Paulus folgen, indem wir dieses Buch ähnlich verwenden?

5. Mose 25 in 1. Korinther 9

Sage ich das nur aus menschlicher Sicht? Oder sagt dies nicht auch das Gesetz? Ja, im Gesetz Moses steht geschrieben: »Du sollst dem Ochsen nicht das Maul verbinden, wenn er drischt«. Kümmert sich Gott etwa um die Ochsen? Oder sagt er das nicht vielmehr um unsertwillen? Denn es ist ja um unsertwillen geschrieben, dass, wer pflügt, auf Hoffnung hin pflügen, und wer drischt, auf Hoffnung hin dreschen soll, dass er an seiner Hoffnung Anteil bekommt. Wenn wir euch die geistlichen Güter gesät haben, ist es etwas Großes, wenn wir von euch diejenigen für den Leib ernten? —1. Korinther 9:8-11 (Zitat aus 5. Mose 25:4)
Auch hier verwendet Paulus das AT, um Christen zu unterweisen. Aber diesmal verwendet er ein AT-Gesetz; und zwar eines über Ochsen, um seine Behauptung zu untermauern, dass Gemeindeleiter ein Recht auf finanzielle Unterstützung haben. Wie kommt Paulus von den Ochsen zu den Aposteln? Sollen wir seiner Hermeneutik folgen? Können wir das?

Sarah und Hagar in Galater 4

Es steht doch geschrieben, dass Abraham zwei Söhne hatte, einen von der leibeigenen Magd, den anderen von der Freien. Der von der Magd war gemäß dem Fleisch geboren, der von der Freien aber kraft der Verheißung. Das hat einen bildlichen Sinn: Dies sind nämlich die zwei Bündnisse; das eine vom Berg Sinai, das zur Knechtschaft gebiert, das ist Hagar. —Galater 4:22-24 (nimmt auf 1. Mose Bezug)
Diesmal interpretiert Paulus eine alttestamentliche Erzählung allegorisch und verbindet Hagar mit dem alten Bund und Sarah mit dem neuen. Ist es für Paulus richtig, eine AT-Erzählung so zu verwenden? Sollen wir seinem Beispiel folgen?

Nur zwei Optionen

Die oben zitierten Passagen sind nur eine kleine Auswahl der großen Vielfalt von NT-Texten, in denen ein biblischer Autor einen Text aus dem AT zitiert oder auf ihn anspielt. Viele angesehene Gelehrte haben die Verwendung des AT untersucht und sind zu dem Schluss gekommen, dass die Auslegungsmethoden, die die Autoren des NT verwenden, ausschließlich auf die Inspiration des Heiligen Geistes zurückzuführen sind. Und so legen sie nahe, dass diese Texte kein Modell darstellen, dem wir folgen können oder sollten. „Wir sind keine inspirierten biblischen Autoren. Nur weil der biblische Autor es tut, heißt das nicht, dass wir es können!“
Die Autoren dieses Kurses sind jedoch der Meinung, dass die NT-Autoren beim Lesen und Anwenden der AT-Schriften eine Hermeneutik verwendet haben, die uns ein solides Modell bietet, dem wir folgen können. Unser grundlegendes Argument zur Unterstützung dieser Position ist, dass die Bibel verlangt, dass wir ihrer eigenen Hermeneutik folgen. Jesus verurteilt die Pharisäer, weil sie Mose nicht in seinem Licht ausgelegt haben (Johannes 5:46). Paulus erklärt, dass das Gesetz immer dazu bestimmt war, uns zu Christus zu führen (Römer 10:4). Der Autor des Hebräerbriefes argumentiert, dass wir die Ruhe, die Josua Israel gewährte, als vorübergehenden Hinweis auf eine größere Ruhe in Christus verstehen sollten (Hebräer 5:8-10). Jakobus erwartet, dass das Beispiel Elias unser Gebet antreibt (Jakobus 5:17). Petrus erklärt uns eindringlich, dass die Propheten des AT für uns über Christus geschrieben haben (1. Petrus 1:10-12). Um zu lernen, der Hermeneutik der Bibel zu folgen, braucht es Zeit, Demut und ein gründliches Studium. Aber wir können und müssen lernen, die Bibel so zu lesen, wie die Bibel selbst verlangt, gelesen zu werden. Darum geht es im Rest des Kurses.
Außerdem müssen wir uns ehrlich die Frage stellen: „Wenn wir nicht bereit sind, dem Vorbild der Bibel bei der Auslegung zu folgen, was ist dann die Alternative?“ Die einzige ehrliche Antwort auf diese Frage besteht darin, unsere Hermeneutik auf unser persönliches Urteil zu gründen, und sie abzuleiten von dem, was uns jemand oder die Tradition gelehrt hat – das sind alles hilfreiche Quellen, aber sie sind nicht autoritativ. Wenn die Schrift uns unfehlbar und autoritativ leitet, warum sollte sie uns dann nicht anleiten, sie richtig auszulegen?
Wenn wir nicht bereit sind, dem Vorbild der Bibel bei der Auslegung zu folgen, was ist dann die Alternative?
Natürlich gibt es eine Vielzahl komplexer Themen, von denen die meisten den Rahmen dieser Lektion sprengen würden. In den verbleibenden Schritten wollen wir anhand der vorgestellten Beispiele zeigen, dass wir von den biblischen Autoren hilfreiche Auslegungsprinzipien lernen können, und zwar indem wir sie beobachten, wie sie in ihren Schriften auf zuvor aufgeschriebene Teile der Schrift Bezug nahmen.

The Right Doctrine from the Wrong Texts?, edited by G.K. Beale
Diese Aufsätze behandeln viele Probleme bzgl. der Verwendung von AT-Texten im NT.

Do Not Muzzle the Ox: Does Paul Quote Moses Out of Context? by Justin Taylor
Dieser Blogbeitrag von Justin Taylor präsentiert eine hilfreiche Diskussion über die oben zitierte Passage aus 1. Korinther 9. Seine Arbeit dient auch als lehrreiches Modell für die Auslegung von NT-Abschnitten, die Texte des AT zitieren.

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