Lektion 3: Auslegungsprinzipien von der Bibel lernen

Beispiel 1

Wir werden nun mehrere Beispiele untersuchen, wo ein biblischer Autor eine frühere Bibelstelle auslegt. Unser Ziel ist es noch nicht, Auslegungsprinzipien zu entwickeln. Wir werden dies in zukünftigen Lektionen tun. Stattdessen wollen wir lediglich einige Beispiele der Bibel betrachten, die ihrer eigenen Hermeneutik folgen und uns dazu einladen, dasselbe zu tun.

Aus Ägypten habe ich meinen Sohn gerufen

Matthäus 2:15 präsentiert uns ein wunderbares Beispiel für die Auslegung der Bibel durch die Bibel. In dieser Passage folgt Matthäus dem Vorbild der Bibel, indem er Hosea 11:1 im Licht Christi auslegt. Matthäus folgt dem Auslegungsprinzip, dass Jesus selbst die Berufung Israels als Nation erfüllt (Lektion 7 wird dieses Prinzip erläutern). Beachte jedoch, dass Matthäus dieses Prinzip nicht erfindet. Er folgt einem Prinzip, das durch frühere Offenbarung eingeführt wurde. Damit lädt Matthäus uns ein, beim Bestreben, eine biblische Hermeneutik zu entwickeln, dem Beispiel der Bibel zu folgen.
Lass uns Matthäus 2:13–15 genauer ansehen:
Als sie aber weggezogen waren, siehe, da erscheint ein Engel des Herrn dem Joseph im Traum und spricht: Steh auf, nimm das Kind und seine Mutter mit dir und fliehe nach Ägypten und bleibe dort, bis ich es dir sage; denn Herodes will das Kind suchen, um es umzubringen! Da stand er auf, nahm das Kind und seine Mutter bei Nacht mit sich und entfloh nach Ägypten. Und er blieb dort bis zum Tod des Herodes, damit erfüllt würde, was der Herr durch den Propheten geredet hat, der spricht: »Aus Ägypten habe ich meinen Sohn gerufen«. —Matthäus 2:13–15
Matthäus berichtet in seinem Evangelium, dass die Eltern Jesu nach Ägypten flohen, um dem mörderischen Plan des Herodes zu entkommen. Aber Matthäus erklärt, dass diese Ereignisse einen höheren Zweck hatten: damit erfüllt würde, was der Herr durch den Propheten geredet hat, der spricht: "Aus Ägypten habe ich meinen Sohn gerufen". (Matthäus 2:15).
In Vers 15 zitiert Matthäus aus Hosea:
Als Israel jung war, liebte ich ihn, und aus Ägypten habe ich meinen Sohn gerufen. —Hosea 11:1
Hoseas Worte beziehen sich eindeutig auf die Nation Israel und ihren Auszug aus Ägypten. Wie kann es dann für Matthäus angemessen sein zu sagen, dass sich Hoseas Worte auf Jesus beziehen? Die Antwort ist einfach: Matthäus folgt dem Auslegungsvorbild der Bibel.
Wir können dies zeigen, indem wir bedenken, wie das 4. Buch Mose das Kommen eines Messias ankündigt, der Israels Berufung als Nation erfüllen würde. 4. Mose 23 – 24 berichtet über die vier Weissagungen Bileams über die Nation Israel.

Die Israeliten verließen Ägypten und näherten sich nun den Grenzen des verheißenen Landes. Bileams letzte zwei Weissagungen sprechen von Dingen, die weit über die Nation Israel hinausgehen und deutlich auf Israels Messias hinweisen (siehe 4. Mose 24:14-17). Dabei wiederholt Bileam die Worte Jakobs (1. Mose 49:9–10), der einen ausdrücklich messianischen Segen über Juda verkündet, als er seine Söhne segnet.

In diesem messianischen Kontext verbindet Bileam prophetisch den Auszug Israels aus Ägypten mit dem Messias. In seiner zweiten Weissagung, die sich auf die Nation als Ganzes bezieht, sagt er:
Gott hat sie aus Ägypten geführt, er ist für sie wie die Hörner eines wilden Stiers. —4. Mose 23:22, Einheitsübersetzung, Hervorhebungen von mir
Aber dann spricht er in seiner dritten Weissagung von Israel als einem einzelnen Mann:
Gott hat ihn aus Ägypten geführt, seine Kraft ist wie die eines Büffels. —4. Mose 24:8a, Hervorhebungen von mir
In seinem Bericht über diese Ereignisse und Weissagungen verbindet Mose den Auszug Israels eindeutig mit dem kommenden Messias aus dem Stamm Juda. Mose sieht einen einzelnen, männlichen Messias vorher, der die Nation repräsentiert und ihre Berufung erfüllt. In Matthäus 2:13–15 gibt es viele Auslegungsprinzipien zu entpacken. Aber hier möchten wir nur anmerken, dass Matthäus dem Beispiel von Mose folgt, wenn er einen Text über Israel verwendet, um den Messias zu beschreiben. Jesus repräsentierte Israel und erfüllte seine Geschichte. Jesus selbst macht eine klare Aussage, die noch weitreichender ist, wenn er sagt:
Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen sei, um das Gesetz oder die Propheten aufzulösen. Ich bin nicht gekommen, um aufzulösen, sondern um zu erfüllen! —Matthäus 5:17
In Matthäus 2:15 sehen wir ein klares Beispiel von einem biblischen Autor, der den Auslegungsprinzipien eines früheren biblischen Autors folgt. Dieses Beispiel begründet die Aufforderung, nach einer biblischen Hermeneutik zu streben.

Bibelauslegung